Versucht man, das Wort irreal auszusprechen und gerät dabei ins Stolpern oder Stottern, kann das Wort irrereal entstehen. Ist ja irre — das Reale. Und ob es nicht auch ziemlich oft stolpert und stottert, das Wirkliche, das Wirksame, das Wirkende? Stolpern zwischen hier und dort, zwischen dieser und jener Wirklichkeit, die wir doch nicht fassen können, zwischen scheinbar Unwirklichem, das doch (gerade im Zeitalter der elektronischen Medien) ganz real ist.

Der Traum ist eine alte und immer wieder neue Erfahrung der Untrennbarkeit von Realem und Irrealem, oder anders gesagt, der Wirklichkeit des Unwirklichen. Schon Moses betätigte sich als Traumdeuter beim Pharao. In der ostasiatischen Kultur ist der Schmetterlingstraum des Zhuangzi, mit der Frage ob wir einen Schmetterling träumen, oder ein Schmetterling uns, ein Klassiker. Und bei Kleist fragt der Prinz von Homburg, als er seine Belobigung erwartet, aber von seiner Verhaftung, mit folgendem Todesurteil, erfährt:

Träum ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich von Sinnen? (II 10)

Der Traum ist wohl diejenige menschliche Erfahrung eines realisierten Möglichkeitsraums, einer ausgelebten Phantasie, die alle von uns in der einen oder anderen Form kennen. Sie ist der Kunst unmittelbar benachbart, und wenn wir Kunst begegnen, fühlen wir uns oft wie in einem Traum.

In dem Traum, der in irrereal inszeniert wird, steht die Sängerin mit geschlossenen Augen und Kopfhörern vor dem Publikum und spricht-singt den Satz: "Alles ist wirklich." Sie spricht-singt die einzelnen Phoneme, aus denen er besteht, getrennt durch lange Pausen. Hörbar ist sie fast immer nicht mit ihrer eigentlichen Stimme, sondern durch zwei Lautsprecher, die vor ihr stehen. Singt sie noch wirklich, oder macht sie nur den Mund auf, aber die Töne kommen von woanders, sind also gar nicht wirklich hier? Und wenn wir bei dem Gesang durch elektronische Transformationen mehr als einen Ton hören, welcher davon ist wirklich und welcher ist tranformiert?


Partitur   Code (Csound)   Hilfsfunktionen


Uraufführung am 9. Oktober 2021 im Sprengel Museum Hannover im Rahmen des Konzerts imaginary real mit Sophia Körber (Sopran) und Joachim Heintz (Elektronik).


Aufführung am 23. August 2022 im Rahmen des Festivals VOXLAB in Oslo.


Aufführung am 11. Juni 2023 im Rahmen der Klanginstallation "Palast der Lose des Lebens" von Tobias Klich in der Kulturkirche Markuskirche Hannover.